Ein Tier auf zwei Beinen

da war einmal ein kleines tier, das stand auf zwei beinen, hatte einen langen schwanz und lange haare, die im wind wallten. eines tages bemerkte sie, daß sie unruhig wurde. das heißt, vielmehr merkte sie, daß sie unruhig war und sie wußte gar nicht mehr so recht, wann das alles begonnen hatte. immer wieder strauchelte es sie, und ihre beine trugen sie kaum, und im kopf war ihr ganz schummrig.

sie machte sich viele gedanken, doch das half alles nichts. bis sie eines morgens am horizont die sonne aufgehen sah. just als der boden erbebte.

da erkannte sie, daß nicht sie es war, die so wackelig unterwegs war. es war der boden, auf dem sie stand. die sonne am horizont blieb am selben fleck, doch der boden unter ihr bewegte sich hin und her.

und wie sie so auf ihre beine sah, stolperte sie beinah. doch sie blickte wieder auf, sah zur sonne, ließ ihre wärme hinein, ließ die müden glieder munter werden, fühlte die musik ihres herzens, und die beine gingen wie von selbst mit dem beben mit. anfangs brauchte das etwas übung, doch die war schnell gefunden.

und schon bald tanzte sie vor freude, wenn sich der boden begann zu bewegen, der sie nun nicht mehr aus der fassung bringen sollte. damit war’s gut leben. dennoch, die beine wurden irgendwann müde, und auch wenn es schon lange her war, sie erinnerte sich, dachte, die böden konnten doch auch ruhig sein. sie war sich gar nicht mehr so ganz sicher, ob sie’s je gewesen waren, so sehr lernte sie, mit ihnen zu leben und sich an ihnen zu erfreuen. und es war schon viel zeit vergangen, als sie eines tages tanzend und laufend auf bebendem boden an einen großen see geriet.

sie war so schnell und schwungvoll, daß sie beinahe ins wasser zu stürzen drohte, doch im sande des ufers fand sie halt, sah auf die spiegelglatte oberfläche des sees, sah sich selbst, sah ihre beine, sah das wasser, sah durch die spiegelbilder hindurch bis auf den grund.

alles war ruhig. nichts bebte, nichts bewegte sich. es war schon fast erschreckend ruhig und leise. sie machte ein paar schritte ins wasser, doch alles blieb ruhig, und der grund des sees lag tief und schwer zu ihren füßen.

dann sprang sie hinein, tauchte tief, holte steine vom grund, plauderte mit den fischen, tanzte mit dem seegras, tauchte mit pinguinen (oder so) um die wette, zog den großen wels am bart und streichelte die forellen. das ging so, bis die sonne unterging und es kalt zu werden drohte. da stieg sie aus dem wasser heraus und bemerkte, daß sich ihre schuhe aufgelöst hatten. so ging sie von nun an barfuß, spürte, wie die kieselsteine ihre sohlen kitzelten, spürte den grund, auf dem sie stand, und erinnerte sich gar nur selten daran, daß früher der boden bebte. als sie noch schuhe trug.

 

© Karen Kastenhofer (Illustrationen), Andreas Schamanek (Text) 2002

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