Eine Frage der Humanökologie

Und eine Antwort auf die Ringvorlesung “Humanökologie”, gehalten von R. Albert, A. Haslberger, K. Kastenhofer, C. Rammel, P. Weish, H. Wilfing et al. an der Universität Wien im Wintersemester 2005/2006

 

Für Peter Weish

 

Die Vorträge der Ring-Vorlesung waren sehr interessant. Eine beachtliche Vielfalt an neuen Ideen und Impulsen wird uns fortan begleiten. Nun ist der letzte Tag der Ring-Vorlesung gekommen, und mit ihm wieder die Frage: Was werden wir tun?

Sie präsentiert sich in all ihrer Buntheit. Wir können uns fragen, was wir jetzt nach der Vorlesung tun werden. Und ob wir uns wieder treffen werden.

Fast klingt die Frage noch harmlos. Aber wir wissen, in der konkreten Anwendung läßt sie die schmeichelnden Hüllen fallen.

Die Frage stellte sich natürlich schon im ganzen Semester. Für mich vor allem bei den Vorträgen, wenn ich Dinge gehört, gesehen und gelesen hatte, die nicht zusammengingen mit dem, was ich kenne und wie ich es sehe. Was habe ich in diesen Situationen getan und was werde ich tun?

Nicht zuletzt war die Frage auch Inhalt der Vorträge selbst. Unmißverständlich stellte Alexander Haslberger die Frage in den Hörsaal, welche Formen der Gentechnik und welche Experimente wir zulassen. Und am Ende von Roland Alberts beeindruckendem Vortrag über Global Change gab es viele Zweifel, aber über die eine Frage waren wir uns alle einig: Wie reagieren wir auf die Herausforderungen, die uns erwarten?

Handlungsbedarf besteht. Aber was werden wir tun?

Humanökologinnen und Humanökologen wissen von den mannigfaltigen Schwierigkeiten; von globalen Zusammenhängen, lokalen Bedingungen, Akzeptanz und Ablehnung, von Überschuß und Nebenwirkung.

Ich habe mich einmal gefragt, wie wohl eine Vorlesung über Humanökologie humanökologisch gestaltet werden könnte. Damals hatte ich

Die Idee mit der Kiste Äpfel

Schon ein einzelner Apfel kann ein isotonisches Getränk ersetzen. Eine Vorlesung, besonders, wenn wir uns aktive Mitarbeit wünschen, verlangt Konzentration und macht müde. Da kommt ein Apfel wie gelegen. Überdies können wir an einer Kiste Äpfel gleich ein paar ökologische Prinzipien veranschaulichen.

Voll Begeisterung soll die Idee nun umgesetzt werden. Am nächsten Dienstag bringe ich eine Kiste bester Äpfel von einem Bauern aus der näheren Umgebung. Die Studierenden und Vortragenden können und sollen sich bedienen, wohl wissend, wie sehr ein einzelner Apfel Geist und Körper mobilisiert.

Erst nimmt sich niemand einen Apfel. Eine Studentin, direkt angesprochen, sagt, sie hätte keinen Hunger. Schön. Da stehen wir also mit unserer wunderbaren Idee, einer Kiste voll von Äpfeln.

Ich erzähle der Studentin und allen anderen die Geschichte der Kiste, die eine Geschichte der Humanökologie ist. Das leuchtet ihr ein, nur den angebotenen Apfel nimmt sie noch immer nicht.

Dann frage ich, wie lange sich wohl so ein Apfel hält. Einige merken an, daß das von der Lagerung und von der Sorte und noch ein paar Dingen abhängt (ich beginne mich zu freuen, wie die Themen der Humanökologie doch noch Einzug halten), und wir einigen uns darauf, daß es ein paar Wochen in jedem Fall sind.

Ich schaue der Studentin noch einmal in die Augen, da sagt sie, sie möge keine Äpfel. Sie sagt, sie esse nie Äpfel. Ich lege den Apfel zurück in die Kiste und sage: Das sind gar keine Äpfel. Das sind Ideen.

Was werden wir tun,
wenn unsere Hilfe, unsere Vorschläge, unsere Seminararbeiten, unsere Projektanträge und unsere Texte nicht angenommen werden? Oder wenn die Modelle versagen oder das Experiment nicht wie geplant abläuft?

 

Nein, ich habe keine Antwort. Doch dies ist eine Antwort. Mehr kann ich nicht sagen.
Bei meinem Versuch der Beantwortung entstand aber ein Fragment einer Geschichte von einem abgeschiedenen Dorf und einer rätselhaften Person.

Die Geschichte – erzählt in der Ich-Form,

… beginnt damit, daß jemand, also ich, gerne und oft in die Berge geht. Gar fühl ich mich wie zuhause. Und doch kommt es vor, daß ich mich verlaufe. Eines schönen Tages, als ich besonders frohen Mutes unterwegs war, erkannte ich, daß ich sich verlaufen hatte. Ich kehrte um, doch am Weg zurück sah alles anders und ungewohnt aus. Und so verlief ich mich wieder. Am vermeintlichen Rückweg entdeckte ich am Ende einer Talsohle ein kleines Dorf.

Es stellte sich heraus, daß das Dorf kaum Kontakt nach außen hatte. Die Dorfbewohnerinnen und -bewohner waren sich gar nicht mehr darüber einig, ob es außerhalb des Dorfes noch andere Dörfer gibt oder nicht. Das war auch nicht wichtig, denn das Dorf kam wunderbar mit sich selbst aus.

Ich war schon ziemlich ausgehungert und war froh, daß ich aufgenommen wurde. Manche schauten zwar etwas argwöhnisch und murmelten Unverständliches in nicht vorhandene Bärte, aber ein älterer Dorfbewohner kam mir freudig entgegen, gab mir zu trinken und nahm mich bei sich auf.

In der Geschichte folgt eine Beschreibung der Umgebung und der Wege des Dorfes, der kleinen schmucken Häuschen, der Gärten und der Dorfbewohnerinnen und -bewohner mit ihren Charakteren und Eigenheiten. Sie lebten eher zurückgezogen, besuchten sich gegenseitig nur ab und zu, doch es gab einen Dorfplatz, wo sich viele regelmäßig trafen.

Mein Gastgeber war der Philosoph des Dorfes. Ein anderer Dorfbewohner, der schon gelegentlich dem nahenden Ende in die blitzenden Augen sah, erzählte gerne Geschichten vom nahe liegenden See und vom Fischen, wenn er nicht gerade einem urtümlichen Instrument erbauliche Töne entlockte. Dann waren da noch einige Handwerker, echte Männer vom Fach, die wußten, wovon sie sprachen, und einige jüngere Frauen und Männer, die offensichtlich Schwung ins Dorf brachten. Es war schön zu sehen, daß ihre Ideen entgegen meinen Erwartungen von den Alten mit einigem Wohlwollen angenommen wurden.

Das kleine Dorf führte schon lange ein unbeschwertes Leben, auch wenn das nicht immer alle so gesehen hatten. Alles schien sich zu ändern von dem Tag an, als ich ins Dorf kam. Und ich wußte nicht warum.

Die Kybernetik erklärte, daß das geschlossene System durch mich gestört wurde. Die Bewohnerinnen und -bewohner waren ihr “ungestörtes” Leben gewohnt. Dabei war das Dorf ebenso ein offenes System. Zum einen war es grundsätzlich offen. Alle konnten das Dorf jederzeit verlassen. Zum anderen kam es nicht selten vor, daß Tiere frühmorgens im Garten standen, oder ein Bach begann, sich einen Weg durchs Dorf zu graben. Ratten gab’s übrigens auch zur Genüge, und das, so erkannte ich gleich, waren Wanderratten.

Ich fand den Vergleich meinerseits mit wilden Tieren und einem Bach sehr lustig. Aber meine Rolle war heikler.

Viele Fragen stellten sich. Wer ich ist und woher ich kommt. Wie meine Absicht ist, ist sie friedvoll oder will ich Streit. Ob ich das Dorf wieder verlassen wird und wie lange ich bleibt. Ich beantwortete die an mich gestellten Fragen so gut ich konnte, doch die Verunsicherung im Dorf wurde mit jeder Antwort nur größer. Die Dorfbewohnerinnen und -bewohner berieten sich untereinander. Manche sahen ich’s Erscheinen als ein gutes Omen, manche sahen dasselbe als ein schlechtes. Sie wollten wissen, ob ich überhaupt einer wie sie selbst bin, so als könnte ich nur eine Erscheinung sein, oder — man verzeihe mir die abwegigen Gedanken — ich von ihnen oder sie ein Ebenbild von ich. Dann hörte ich, wie sie über den “Fremden” sprachen, über seine seltsamen Ideen, und, wenn er denn bliebe, ob er sich integrieren könne.

Gelegentlich gingen die Emotionen hoch. Die Bewohnerinnen und Bewohner wollten Klarheit. Ruhe sollte wieder einkehren. Am Ende verdächtigten sie sich gar gegenseitig, mit mir unter einer Decke zu stecken. Mein Gastgeber blieb nicht verschont.

Mir dämmerte, daß ich das Dorf verlassen sollte. Ich hatte zwar keine Idee, wohin die Reise führen würde, aber ich entschied, daß es so das beste wäre. Allerdings brauchte ich Schuhe, Gewand und Proviant. Doch die, die mich verachteten, wollten mir nichts geben. Die, die mich mochten, hatten entweder selbst zu wenig, oder sie fanden, ich solle bleiben, so wie auch der Philosoph, wenngleich er die verrücktesten Erklärungen dafür hatte. Er meinte, ich solle noch seinen Garten aufräumen; was ich auch gerne tat.

Der Dorfälteste überraschte mit seiner Meinung, es sei vielleicht ganz gut, daß ich plötzlich aufgetaucht sei und so die Dorfbewohnerinnen und -bewohner daran erinnerte, daß auch ein unbeschwertes Leben nicht unbedingt ewig währt. Statt meiner hätte ebenso gut anderes passieren können, und wer weiß, dann würden sie jetzt nicht gemütlich rund um das Feuer sitzen und diskutieren. Es war schon spät, als er das sagte.

So oder so ähnlich könnte diese Geschichte gehen. Die Frage des Dorfes letztlich war: Was werden wir tun? Aber über den Schluß bin ich mir noch unklar. Den lasse ich vorerst offen.

Am Ende der Geschichte steht jedenfalls groß eine Frage, gerichtet an die Leserinnen und Leser: Wer ist ich?

 
Nun bleibt mir noch die Frage:
Was werden wir tun,
wenn jemand unsere Ideen kritisiert?

 


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Sämtliche Fragen in diesem Text sind ausnahmslos Fragen an den Autor selbst. Jegliche Ähnlichkeit mit Fragen, die andere Ihnen oder Sie sich selbst stellen, ist rein zufällig und unbeabsichtigt.

Zu einigen angesprochenen Themen finden sich auch Einträge in rattus rattus’ blog.

Ideen rund um das Dorf der Humanökologie (Illustration zu “Eine Frage der Humanoekolgie”, Januar 2006)

 

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