von keksen

eine ratTen-geschichte von einem problem und andreas


werte ratten!

ich erzähl euch heute eine art geschichte, die geschichte von einem problem und andreas. diese geschichte hat sehr tief vergrabene wurzeln. viel zu tief für kleine rattenpfoten. aber ich weiß, was am anfang war und was immer wiederkehrte. das war eine frage, nämlich:

willst du ein keks?

wir ratten tun uns mit dieser frage etwas schwer, weil wir meistens nicht bis zum fragezeichen lesen (oder hinhören). natürlich wird diese frage je nach gelegenheit und umstand ganz unterschiedlich formuliert: z.b. (in unserem fall)

   da ist noch ein keks. ratte? willst / [staunen darüber, daß das keks nicht mehr da ist].

für uns selbstverständlich, doch auch für andreas mitunter verwirrend.

Illustration zur Geschichte von Karen Kastenhofer, Dezember 2003

ich betone also noch einmal, daß es sich hier um eine frage handelt (jedenfalls für andreas). und seine antworten sind sehr vielfältig. viele jahre lang hab ich beobachtet (fasziniert), wie einfallsreich (und doch sinnlos) diese antworten ausfallen können:

er versucht sich vorzustellen, wie ein keks schmecken könnte. je nach lebensphase geht er dabei ganz unterschiedlich vor: einmal erinnert er sich an das zuletzt gegessene keks, das andere mal versucht er den mittleren geschmack aller zuvor gegessenen kekse zu ermitteln. irgendwann mal hatte er etwas vom konzeptbegriff ‘keks’ gefaselt, später von der idee des ‘kekses’ und dem idealkeks. in jüngster zeit spricht er gerne vom modell des kekses. wenigstens betrachtet er das selbstkritisch und zweifelt daran, daß eine simulation eines ‘kekses’ für irgendwas gut sei (ein haarsträubender gedanke, aber das geistert tatsächlich durch seinen kopf).

wenn er sich erinnern kann (der glückliche), ist es damit leider noch nicht getan. dann wird das keks erst einmal genau betrachtet, ja analysiert. wer weiß, es könnte ja nur so aussehen wie das zuletzt gegessene. wer weiß, es könnte eine attrappe sein, eine falle, ein mordversuch (ok, das war übertrieben). zum glück kommt das nicht sehr oft vor. fast immer aber werden kekse in schubladen gesteckt (kategorisieren nennen menschen das). ich will hier nicht andreas schubladen aufzählen. jede und jeder hat da ganz verschiedene. das ist müßig. wir wissen ja, daß es verschiedene kekse gibt (und auch daß jedes einzelne zählt). nur das schubladisieren … das fadisiert gewaltig.

lange zeit hat er sich gequält (ja wirklich, nämlich auch mich), indem er meinte, er könnte die frage erst beantworten, wenn er wüßte, warum er ein keks wollen könnte oder sollte. das führte aber zu nichts außer weiteren fragen. weil er hunger hat; warum hat er hunger; weil er eine art säugetier ist und essen zum leben braucht; warum lebt er; warum existiert die welt usw. (wenn das überhaupt ein ende nahm, dann war’s jedenfalls eine offene frage; was soll ich sagen? das war eine harte, karge zeit.)

eine wesentlich bessere antwort war der vergleich mit anderen: wenn alle kekse essen, warum sollte er nicht auch kekse essen (sehr vernünftig). das hat aber nicht lange gehalten, denn schon bald fand er, daß alle dieselben kekse essen (schön blöd), die ihm nicht einmal besonders schmecken. flupp, da war die frage “will ich dieses keks, oder will ich lieber ein anderes keks?” (ui, ui, ui, das hat die beantwortungszeiten nicht gerade verkürzt; jaja, ich weiß, das wort ‘beantwortungszeit’ hab ich auch erst bei andreas kennengelernt.)

ein anderer versuch der beantwortung (zugegeben nicht der schlechteste) lag in der verbindung der eigentlichen frage mit anderen grundbedürfnissen. das konnte und hat bis heute die verschiedensten formen angenommen. z.b.: wenn ich das keks will, will ich es nur aus lust? muß ich lust haben, um das keks wollen zu können? kann ich das keks und lust haben? sind kekse und lust überhaupt trennbar? kann ich nur das keks haben, ohne lust? kann ich lust statt keks haben? (na!? da schlägt das rattenherz höher.) oft endeten diese versuche aber in der frage, welche nebenwirkungen kekse haben. und ja, nicht jedes keks ist gut, klar, vor allem nicht auf dauer (wäh, immer dieselben kekse, wäh). und vertragsbindungen mit kekslieferanten und abhängigkeiten von bestimmten keksen sind ein übel. (daß ihn das aber gleich gar so beschäftigen muß?)

sehr abwechslungsreich wurde es, wenn er zu den keksen noch etwas dazu wollte (nein, nicht kaffee, ich erzähle euch ja nur von den dingen, die überhaupt eine frage aufwerfen können), tee, saft, schlagsahne, kompott und eine frau (daß es auch senf gewesen sein soll, ist ein unbestätigtes gerücht) oder wenn er das keks in bestimmter form wollte: frisch, trocken, weich, hart, mit butter gebacken, klein, groß, flach, dick, lang, kurz und rund (rUnd ist immer gUt). es kam dann allerdings vor, daß er das keks gegessen hatte, weil ihm der zusatz wichtig(er) war. auf dauer stieß ihm das aber auf, entweder die kekse oder die zusätze oder gleich beides.

zwischendurch gab’s natürlich auch ganz einfache und kurze antworten (jaja): ein keks? laß mich mal kosten. mmmhm, gut! danke. (schau, schau, so geht’s auch.) schwieriger wurde das, wenn das keks eingepackt war. was wenn es nicht schmeckt? wegwerfen? und die offene packung? oder wenn das keks mit viel mühe gebacken war. kann ich ein angegessenes keks liegen lassen? kränke ich da niemanden? das führte dann wieder zu den antworten, wo er versuchte, sich zu erinnern, wie die kekse das letzte mal geschmeckt hatten. ich hab ihm dann jedes mal in den hintern gezwickt, wenn er gesagt hat: ‘nein danke. sehr nett, aber ich hab gar keinen hunger.’ und dergleichen. wir kennen das.

in guter erinnerung hab ich (rattenklar) die antworten, wenn ihm die kekse geschmeckt haben (also wenn’s dazu kam, daß er eines probiert hat). dann wollte er noch mehr (ich hab nachgeholfen, was sonst?) von denselben. großmutter wurde bestochen, mutter wurde zu den kaufhausregalen gelotst, wo es die besten gab, zuhause wurde tunlichst darauf geachtet, daß die kekse frisch blieben, die lebkuchenkekse bekamen apfelscheibengesellschaft, und … bei menschen muß ja immer irgendwo ein haken an der scheinbaren idylle sein: es wurde gespart, denn von guten keksen gab’s nicht soviele. oder aber (ich bin unschuldig!) sie wurden alle auf einmal aufgefressen. dann gab’s keine guten mehr und den rest der woche mußten die weniger guten aufgegessen werden (nicht ohne nachwirkungen auf den bereits erwähnten beantwortungsversuch mit erinnerungsfaktor). von neid und gier und eifersucht will ich gar nicht erst groß erzählen (natürlich blieben mir auch diese antworten nicht erspart).

eine variante dieser antwort, nicht von andreas, jedenfalls nicht in dieser form, ist der versuch der konservierung. das ist ja eigentlich eine gute sache. nur welches (gute) keks braucht schon konservierung, wo doch zucker drinnen ist? wie auch immer, kekshersteller meinten, sie müßten die kekse mit konservierungsmitteln vollpumpen. das hat dann auch andreas eingesehen, daß es das nicht sein kann. seine antwort war dann (doch etwas schwierig): sind in dem keks konservierungsmittel? und welche? und was bedeuten diese nummern? sind sie schon abgelaufen? sind sie noch gut? (würg, lassen wir das.)

ihr könnt es euch vermutlich schon denken. ein ganzer haufen von anderen antworten folgte auf dem fuße: hab ich nicht schon zuviele kekse gegessen? werde ich davon dick? wie dick werde ich davon? ist da viel fett drinnen? bin ich auf nüsse allergisch? in keksen ist doch raffinierter zucker, oder? wer stellt eigentlich diese kekse her? was macht diese firma außer kekse backen noch? wer muß sterben, damit ich diese kekse kaufen kann? (auch diese frage hat er sich gestellt, oh doch.) ist keksproduktion umweltfreundlich? wie kommt die luft in das luftgebäck? sind kekse fckw-frei? (was jetzt fckw genau ist, tut da nicht wirklich etwas zur sache; wir ratten wissen, daß was immer es ist, es ist nicht in keksen; aber sagt das mal andreas.) immerhin, diese antworten hatten auch 1 gute seite: andreas wechselte dann und wann zu vollkornkeksen. die sind super. leider bekomme ich davon blähungen, aber schmecken tun sie gut.

nicht daß ich es gut fände, wenn er immer vollkornkekse kaufen würde, nur einen typ von antwort muß ich dennoch erwähnen, auch wenn ich ihn gar nicht mag: im supermarkt steht er (seit er sich die kekse selber kaufen darf) doch tatsächlich immer wieder vor dem keksregal und überlegt hin und her und schaut auf den preis und auf das gewicht (und versucht sich – schon wieder – zu erinnern, wie sie das letzte mal geschmeckt haben), die stückzahl und die verpackung, dann wieder auf den preis, kurz taucht noch die überlegung auf, ob’s zu den keksen eine werbung gibt, und ob er die kekse denn auch nicht nur der werbung wegen kauft, und und und. mit dem ergebnis (das nicht das schlechteste ist), daß immer wieder dieselben billigen keks gekauft werden, jedenfalls wenn er nicht grad pleite ist.

eine antwort, die ich nicht mehr so genau in erinnerung hab (keine ahnung warum), ging so ähnlich wie: ich nehm 2 kekse und schenke eines her. oder: ich nehm ein keks und geb die hälfte ab. angeblich soll’s leute geben, die kekse nehmen und alle hergeben. die essen selber gar keine kekse. das versteh ich überhaupt nicht. ich glaub’s ihnen auch nicht, und wenn, woher sollten die wissen, welche kekse gut sind? naja, egal, andreas macht sowas nur selten (zum glück).

großteils erspart blieb mir auch (und dafür bin ich ihm sehr dankbar) die antwort der selbstbelügung. das ist wieder etwas, was wir ratten kaum nachvollziehen können, aber menschen schaffen das: sie reden sich ein, sie brauchen keine kekse. sie glauben dann, sie könnten ohne kekse leben. wenn sie dann auch wirklich auf kekse verzichten, dann, freilich, hält das nicht lange an, und alles ist schnell beim (guten) alten. ja, auch andreas hat das versucht, aber nicht lang (dafür hab ich gesorgt).

übler ist da schon die schleichende selbstbeschwindelung: wenn kekse in ihrer bedeutung runtergespielt werden (und dann soviele gegessen werden, daß selbst uns schlecht würde und wird), oder so wenige gegessen werden, daß die menschen irgendwann nicht mehr die kraft haben, ein keks zum mund zu führen. (ratten aller länder, das dürfen wir nicht zulassen!)

eine ziemlich gefinkelte antwort der letzten jahre (muß am alter liegen), ist der versuch, das wollen an sich zu vermeiden. ein beachtlicher schritt in die richtige richtung. vor allem, solange er das keks mir überläßt. er hat nur selbst noch nicht ganz verstanden, was das bedeutet. der abschluß dieser beobachtungen steht auch noch aus.

meine lieblingsantwort ist die jüngste (lang hab ich darauf hinarbeiten müssen): seit ein paar wochen backt er sich (uns :-) die kekse selbst. das ist toll! auch wenn die kekse nicht so gut werden, essen wir sie trotzdem. und viele fragen stellen sich dabei erst gar nicht. und … und andreas (mit meiner hilfe) kann das schon ganz gut, die selbstgebackenen kekse sind gar nicht mal so schlecht.

fuuuh, das ist alles eine lange geschichte.
und alles nur, weil die menschen nicht wissen können,
ob sie etwas wollen oder nicht, bis sie es haben.
tja, das war’s.
eure

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-- ratte

   mit rätseln überall

 

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